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SWR2 Treffpunkt Klassik | Montag, 22.10.2018

Deutsch-französisches Verhältnis aus musikalischer Perspektive
In einem Symposium des Brahms-Institutes an der Musikhochschule Lübeck ging es um „Konfrontationen: Musik im Spannungsfeld des deutsch-französischen Verhältnisses 1871–1918“. Und so heißt auch der Sammelband, in dem die Beiträge veröffentlicht wurden.

[von Eva Hofem]

Johannes Brahms ist unumstritten einer der großen deutschen Komponisten, wenn es um romantische Chormusik geht. In Lübeck hat man sich aber einem Thema gewidmet, das zunächst einmal gar nichts mit dem romantischen Chorklang gemein hat. Anhand der Beziehung von Johannes Brahms zu Frankreich werden in diesem Buch Themen angeschnitten, die erstmal das konventionelle Bild der Musik, die keine Ländergrenzen kennt, ins Wanken bringt.

Herausgeber Wolfgang Sandberger beschreibt zum Beispiel den direkten Einfluss von altbewährtem, länderinternem Schubladendenken auf das Layout einer Notenausgabe. Ein Titelblatt hatte auszusehen, wie man sich in Frankreich »Deutschtümelei« vorstellte. Wurde ein Instrumentalwerk von Brahms also in Frankreich herausgegeben, beeinflussten geläufige Klischeevorstellungen offenkundig die optische Gestaltung des Notenheftes.

»Was im Falle eines Romans oder eines Gedichtbandes die Übersetzung ist, ist im Falle der Musik die Edition. Ostentativ ist die ‚Übersetzung‘ der Walzer op. 39, die unter dem illustren Titel »Germania« typische Topoi des »Deutschen« spiegeln, freilich aus französischer Perspektive: Die deutsche Gotik- Begeisterung, entfacht durch das Straßburger Münster-Erlebnis Goethes, die nächtliche Ruinenromantik mit überwuchernder Natur und besungenem Mond.«

Die Zementierung von »Deutschland Klischees« im Nachbarland Frankreich ist Gegenstand gleich mehrerer Artikel im Buch, die sich zunächst intensiv mit Brahms befassen. Mehrfach werden kritische Stimmen der französischen Presse zitiert, wie etwa die des Musikkritikers Pierre Lalo. Er schreibt wenige Jahre nach Brahms‘ Tod über eine Aufführung:

»Es gibt reichlich Musik, die schlechter ist: Aber ich kenne keine, die unbeseelter, leerer und gleichzeitig schwerfälliger, aufgeblasener und fader, beflissener und bedeutungsloser, ausdrucksloser und nutzloser wäre. Der kleinste Gedanke wird zweimal, viermal, sechsmal oder noch öfter wiederholt; und all das führt zu nichts.«

Der Musikwissenschaftler Anselm Gerhard bringt Brahms‘ Image bei französischen Zeitgenossen auf den Punkt:

»Die in der französischen Presse vorherrschenden Urteile über Brahms lassen sich in Klischees zusammenfassen, die noch heute im französischen Deutschland-Bild aufscheinen: Seine Musik ist schwermütig, langweilig, ihr fehlt Eleganz und Genie, da sie - wie die Kompositionen mancher protestantischer Kantoren - solidem Handwerk verpflichtet sind. Um solche Vorurteile weiter zuzuspitzen: Brahms steht gleichsam für Sauerkraut und Schwarzbrot.«

Nach der Lektüre der Beiträge ist klar, dass Brahms zumindest zu Lebzeiten und sogar bis nach Ende des 2. Weltkrieges nur wenige Verehrer in Frankreich hatte. Aber es wird auch gezeigt, dass die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte. Neben Ausführungen über Brahms‘ miserables Französisch schreibt Autorin Ingrid Fuchs über die Komposition seines Triumphliedes:

Wenn wir Brahms‘ Äußerungen über den Sieg Deutschlands im Deutsch-Französischen Krieg im Jahr 1870 und seine daraus resultierende begeisterte Komposition des Triumphliedes lesen, dann können wir heute ein gewisses Unbehagen nicht verleugnen. Die Verherrlichung des Triumphes über die Stadt Babylon in der Apokalypse wird im Triumphlied eindeutig auf den Sieg Deutschlands über Frankreich umgedeutet und Brahms bezeichnete im Februar 1871 den Eingangschor als »eine meiner politischen Betrachtungen über dies Jahr.«

Auch die Wagner-Verehrung in Frankreich oder die unterschiedlichen Orchesterklänge von deutschen und französischen Kompositionen werden im Tagungsband »Musik im Spannungsfeld des deutsch-französischen Verhältnisses 1871-1918« angeschnitten. Dreh und Angelpunkt der Betrachtungen bleibt aber Johannes Brahms. Besonders aufschlussreich ist dabei die ausgezeichnete Bebilderung des Bandes. Und die kommt nicht von ungefähr: In einem zweiten Teil des Buches ist ein Katalog zur Ausstellung »Brahms und Frankreich« des Brahms Instituts Lübeck abgedruckt. Der Katalog zeigt Ausstellungsstücke wie Briefe, Fotographien, Manuskripte und Notenausgaben aus Brahms‘ Nachlass. So hat man während des Lesens gleich das passende Quellenmaterial zur Hand.

Es handelt sich hier ohne Frage um ein Fachbuch mit Nischenthema, in das sich allerdings der historisch interessierte Leser auch ohne musikwissenschaftlichen Hintergrund leicht hineinversetzen kann. Herausragend sind die für eine rein wissenschaftliche Publikation ungewöhnlich vielen Abbildungen, die ein Gespür dafür geben, welchen Einfluss Ländergrenzen dann doch auf die vermeintlich völkerverbindende Musik haben können. Denn trotz dieser Universalsprache ist man in der Vergangenheit dem frommen Wunsch nach »alle Menschen werden Brüder« nicht immer nachgekommen…

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